Von einem aufmerksamen Sammler in Hamburg wurde uns vor einigen Monaten eine Porzellan-Figur Opfermanns vorgelegt, die zum damaligen Zeitpunkt einige Rätsel aufgab. Werke in gebranntem Ton, zumeist unglasiert, gibt es im Œuvre dieses Bildhauers viele, ein in der Herstellung weitaus aufwändigeres Werk in Porzellan war aber bis dato unbekannt. Anders als bei Porzellanen größerer Manufakturen wie Rosenthal oder den Schwarzburger Werkstätten fehlt bei der Figur Opfermanns der Hinweis eines Herstellers wie bspw. eine Marke oder Seriennummer. Signatur und Stil weisen die Figur jedoch eindeutig als ein Werk unseres Bildhauers aus und so begann die Suche nach dessen Entstehungsgeschichte.
Wir sehen eine weibliche Halbfigur, die ihren Körper in einen dünnen Umhang hüllt, der nahtlos als Kapuze auch den Kopf mit einschließt. Dabei steht der linke Busen noch entblößt dar in die selbe Richtung des leicht lasziven Blickes der Dargestellten. Die frech wirkenden, gerade geschnittenen Stirnfransen und seitlichen Locken ragen durch den leicht gesenkten Kopf noch unter der Kapuze hervor, die Figur lächelt herausfordernd. Diese Details lösen den auf den ersten Blick Marien-haften Eindruck des Motivs auf, am ehesten ergibt sich das Bild einer erotisierten „Maria lactans“: Eine humoristische Auflösung von Altbekanntem, wie wir sie von Opfermann vielfach kennen, die über die Komposition hinweg gekonnt die Materialität des milchigen Porzellans aufnimmt.
Die Verarbeitung bzw. Herstellung von Porzellanen war zwar aufwändiger als die anderer Keramik, trotzdem kennen wir aus Hamburg bekanntere Bildhauer, von denen Werke in diesem Material erhalten sind. Als das wohl prominenteste Beispiel gelten die sechs Figuren, die Ernst Barlach in den Schwarzburger Werkstätten für Porzellankunst in Unterweißbach (Thüringen) herstellen ließ. Aber auch von weiteren Künstlern kennen wir Figuren in Porzellan wie bspw. von Hans Martin Ruwoldt und Richard Haizmann. Letzterer ergab sich als erster Anhaltspunkt für einen Vergleich und offenbar schienen Scherben sowie Spuren der Herstellung auf der Unterseite mit denen der Plastik Opfermanns identisch zu sein. Es galt somit als wahrscheinlich, dass es in Hamburg - wenn auch keine große Manufaktur - eine Werkstatt zur Herstellung von Porzellan gab.
Hermann Jedding veröffentlichte 1976 im Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen (1) seinen für die Geschichte des Porzellans in Hamburg grundlegenden Text Porzellanschöpfungen von Hamburger Bildhauern und bezieht sich hierin auf die Einflussnahme der Bildhauer Richard Luksch und Johann Michael Bossard an der Kunstgewerbeschule Hamburg (der heutigen Hochschule für bildende Künste, kurz HFBK). Die eigenen Schöpfungen dieser zwei sehr unterschiedlichen Bildhauer besonders in Porzellan und Fayence unter dem Werkstattleiter Max Wünsche weckten offenbar bei vielen Schülern, darunter Karl Opfermann, das Interesse für diese Materialien. Unserer Hoffnung entsprechend gibt der unbedingt lesenswerte Text an, dass es nach Erzählungen von Gustav Grimm eine „Porzellan-Madonna“ aus Opfermanns Hand gegeben haben soll. Einen Nachweis hierzu lieferte der Text jedoch noch nicht. Durch weitere Nachforschungen wurden wir auf den Band 11/12 des Jahrbuchs des Museums für Kunst und Gewerbe (2) aufmerksam, der 1993 Dank einer Schenkung aus Privatbesitz an das Museum den ersten Bildnachweis der jüngeren Vergangenheit lieferte und in Bezug zu Jeddings Text von 1976 setzte. Hierüber hinaus wurde das Werk auch schon am 14.03.1931 im Zuge einer ganzseitigen Besprechung zum Künstler im Hamburger Anzeiger abgebildet, hier als „Porträt-Büste“ betitelt. Weitere Angaben fehlen aber auch hier.
Heute sind uns insgesamt 3 Exemplare dieser Figur bekannt, zwei davon in Privatbesitz. Angesichts der Tatsache, dass Opfermann seine Skulpturen kaum in Serie produzieren lies und es nur vereinzelt bspw. von Keramiken eine Version in Steinguss gibt, erstaunt diese - immer noch geringe - Anzahl ein und derselben Figur. Die Fertigung als eine Art Jahres- bzw. Vereinsgabe käme also durchaus in Betracht und tatsächlich warb der 1920 von Rosa Schapire und Wilhelm Niemeyer gegründete Kunstbund Hamburg, für dessen Stifter Karl Opfermann bereits eine Plakette entwerfen sollte, in einer Mitteilung 1920 für ihre Kunstbundaufträge:
„In der Werkstatt der Kunstgewerbeschule für Thonbildnerei können Entwürfe junger Künstler für Porzellan oder Steingut in einer Anzahl bis zu 20 Stück für Mitglieder des Kunstbundes auf Bestellung gefertigt werden. Diese Entwürfe würden von Fall zu Fall auf den Kunstbundabenden zur Besichtigung und Wahl ausgestellt sein.“
Hier dürfte der Ursprung nicht nur der Porzellan-Figur Opfermanns sondern auch der vieler weiterer Porzellanschöpfungen Hamburger Bildhauer liegen. Es darf wohl auch als eine äußerst gelungene Verschränkung unterschiedlicher Protagonisten angesehen werden, wenn eine Bildungseinrichtung wie die Kunstgewerbeschule nicht allein lehrende Funktion besitzt, sondern die Werkstätten auch für externe Bildhauer wie bspw. Haizmann zur Verfügung stellt und noch dazu durch die Vermittlung von Vereinen wie dem Kunstbund Hamburg den Weg in den Kunstmarkt ebnet.
Bisher unklar ist, ob auch Opfermanns Fayencen wie die bisher nur in der Literatur nachweisbaren „Stehende“ (Foto links) und „Lautenspielerin“ in besagter Werkstatt am Lerchenfeld oder vielleicht wie die Kleinskulpturen von bspw. Alphons Ely in der Mutz-Werkstadt in Altona entstanden sind.
Wir bedanken uns ausdrücklich bei den Hamburger Sammlern, die unserem Projekt Bild- und Vergleichsmaterial zur Verfügung gestellt haben und bei Dr. Christian Schulz (Richard-Haizmann-Museum Niebüll), Klaus Stemmler (Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg) sowie Dr. Rüdiger Joppien für die Bestätigenden Auskünfte.
(1) Jedding, Hermann: Porzellanschöpfungen von Hamburger Bildhauern, in: Hamburgerger Kunsthalle/Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, Bd. 21, Hamburg 1976, S. 179 - 198.
(2) Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg: Jahrbuch des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg, Neue Folge, Bd. 11/12, 1992/-1993, S. 217.
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A brief history of porcelain
A few months ago, an attentive collector in Hamburg presented us with a porcelain figurine by Opfermann, which at the time posed a few puzzles. There are many works in fired clay, mostly unglazed, in this sculptor's oeuvre, but a much more elaborate work in porcelain was previously unknown. Unlike porcelain from larger manufactories such as Rosenthal or the Schwarzburger Werkstätten, Opfermann's figurine lacks any indication of a manufacturer, such as a mark or serial number. However, the signature and style clearly identify the figurine as a work by our sculptor, and so the search for its genesis began.
We see a female half-length figure wrapping her body in a thin cloak that seamlessly encloses her head as a hood. The left breast is still exposed, facing the same direction as the sitter's slightly lascivious gaze. The cheeky, straight-cut forehead fringes and side curls still protrude from under the hood due to the slightly lowered gaze, the figure smiles defiantly. These details dissolve what at first glance appears to be a Marian impression of the motif, most likely creating the image of an eroticised ‚Maria lactans‘: a humorous dissolution of the familiar, as we are often familiar with from Opfermann, which skilfully incorporates the materiality of the milky porcelain.
Although the processing and production of porcelain was more complex than that of other ceramics, we know of better-known sculptors from Hamburg who have produced works in this material. The six figures that Ernst Barlach had produced in the Schwarzburger Werkstätten für Porzellankunst in Unterweißbach (Thuringia) are probably the most prominent examples. However, we are also familiar with porcelain figurines by other artists, such as Hans Martin Ruwoldt and Richard Haizmann. The latter was the first point of reference for a comparison and apparently the shards and traces of production on the underside appeared to be identical to those of Opfermann's sculpture. It was therefore considered likely that there was a porcelain production workshop in Hamburg, even if it was not a large manufactory.
In 1976, Hermann Jedding published his text Porzellanschöpfungen von Hamburger Bildhauern (Porcelain creations by Hamburg sculptors), which is fundamental to the history of porcelain in Hamburg, in the Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen (1), in which he refers to the influence of the sculptors Richard Luksch and Johann Michael Bossard at the Kunstgewerbeschule Hamburg (now the Hochschule für bildende Künste, HFBK for short). The creations of these two very different sculptors, particularly in porcelain and fayence under the workshop director Max Wünsche, evidently aroused the interest of many students, including Karl Opfermann, in these materials. In line with our hopes, the text states that, according to Gustav Grimm, there was a ‘porcelain Madonna’ by Opfermann. However, the text did not yet provide any proof of this. Through further research, we became aware of volume 11/12 of the Jahrbuch des Museums für Kunst und Gewerbe (2), which in 1993, thanks to a donation from a private collection to the museum, provided the first pictorial evidence of the recent past and placed it in relation to Jedding's text of 1976. In addition, the work was also illustrated as early as 1931 in the course of a full-page review of the artist in the Hamburger Anzeiger, here titled ‘Portrait Bust’. However, further details are also missing here.
Today we know of a total of three examples of this figure, two of which are privately owned. In view of the fact that Opfermann hardly ever had his sculptures produced in series and that there are only a few versions of ceramics in cast stone, for example, this - still small - number of the same figure is astonishing. Production as a kind of annual or association gift could therefore certainly be considered, and indeed the Kunstbund Hamburg, founded in 1920 by Rosa Schapire and Wilhelm Niemeyer, for whose founders Karl Opfermann was already determined to design a plaque, advertised its Kunstbund commissions in a 1920 communication:
‘In the workshop of the Kunstgewerbeschule für Thonbildnerei, designs by young artists for porcelain or earthenware can be made to order in quantities of up to 20 pieces for members of the Kunstbund. These designs would be exhibited on a case-by-case basis at the Kunstbund evenings for viewing and voting.’
This is probably the origin not only of Opfermann's porcelain figure but also of many other porcelain creations by Hamburg sculptors. It can also be seen as an extremely successful combination of different protagonists when an educational institution such as the Kunstgewerbeschule not only has a teaching function, but also makes its workshops available to external sculptors such as Haizmann and also paves the way into the art market through the mediation of associations such as the Kunstbund Hamburg.
It is still unclear whether Opfermann's fayences, such as the ‘Standing’ (photo) and ‘Lute Player’, which have so far only been documented in the literature, were also created in the aforementioned workshop or perhaps, like the small sculptures by Alphons Ely, for example, in the Mutz workshop in Altona.
We would like to thank the Hamburg collectors who provided our research with images and comparative material and Dr Christian Schulz (Richard-Haizmann-Museum Niebüll), Klaus Stemmler (Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg) and Dr Rüdiger Joppien for their confirmatory information.