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Vielen Dank / Thank you!

Von einem aufmerksamen Sammler in Hamburg wurde uns vor einigen Monaten eine Porzellan-Figur Opfermanns vorgelegt, die zum damaligen Zeitpunkt einige Rätsel aufgab. Werke in gebranntem Ton, zumeist unglasiert, gibt es im Œuvre dieses Bildhauers viele, ein in der Herstellung weitaus aufwändigeres Werk in Porzellan war aber bis dato unbekannt. Anders als bei Porzellanen größerer Manufakturen wie Rosenthal oder den Schwarzburger Werkstätten fehlt bei der Figur Opfermanns der Hinweis eines Herstellers wie bspw. eine Marke oder Seriennummer. Signatur und Stil weisen die Figur jedoch eindeutig als ein Werk unseres Bildhauers aus und so begann die Suche nach dessen Entstehungsgeschichte.


Wir sehen eine weibliche Halbfigur, die ihren Körper in einen dünnen Umhang hüllt, der nahtlos als Kapuze auch den Kopf mit einschließt. Dabei steht der linke Busen noch entblößt dar in die selbe Richtung des leicht lasziven Blickes der Dargestellten. Die frech wirkenden, gerade geschnittenen Stirnfransen und seitlichen Locken ragen durch den leicht gesenkten Kopf noch unter der Kapuze hervor, die Figur lächelt herausfordernd. Diese Details lösen den auf den ersten Blick Marien-haften Eindruck des Motivs auf, am ehesten ergibt sich das Bild einer erotisierten „Maria lactans“: Eine humoristische Auflösung von Altbekanntem, wie wir sie von Opfermann vielfach kennen, die über die Komposition hinweg gekonnt die Materialität des milchigen Porzellans aufnimmt.


Die Verarbeitung bzw. Herstellung von Porzellanen war zwar aufwändiger als die anderer Keramik, trotzdem kennen wir aus Hamburg bekanntere Bildhauer, von denen Werke in diesem Material erhalten sind. Als das wohl prominenteste Beispiel gelten die sechs Figuren, die Ernst Barlach in den Schwarzburger Werkstätten für Porzellankunst in Unterweißbach (Thüringen) herstellen ließ. Aber auch von weiteren Künstlern kennen wir Figuren in Porzellan wie bspw. von Hans Martin Ruwoldt und Richard Haizmann. Letzterer ergab sich als erster Anhaltspunkt für einen Vergleich und offenbar schienen Scherben sowie Spuren der Herstellung auf der Unterseite mit denen der Plastik Opfermanns identisch zu sein. Es galt somit als wahrscheinlich, dass es in Hamburg - wenn auch keine große Manufaktur - eine Werkstatt zur Herstellung von Porzellan gab.


Hermann Jedding veröffentlichte 1976 im Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen (1) seinen für die Geschichte des Porzellans in Hamburg grundlegenden Text Porzellanschöpfungen von Hamburger Bildhauern und bezieht sich hierin auf die Einflussnahme der Bildhauer Richard Luksch und Johann Michael Bossard an der Kunstgewerbeschule Hamburg (der heutigen Hochschule für bildende Künste, kurz HFBK). Die eigenen Schöpfungen dieser zwei sehr unterschiedlichen Bildhauer besonders in Porzellan und Fayence unter dem Werkstattleiter Max Wünsche weckten offenbar bei vielen Schülern, darunter Karl Opfermann, das Interesse für diese Materialien. Unserer Hoffnung entsprechend gibt der unbedingt lesenswerte Text an, dass es nach Erzählungen von Gustav Grimm eine „Porzellan-Madonna“ aus Opfermanns Hand gegeben haben soll. Einen Nachweis hierzu lieferte der Text jedoch noch nicht. Durch weitere Nachforschungen wurden wir auf den Band 11/12 des Jahrbuchs des Museums für Kunst und Gewerbe (2) aufmerksam, der 1993 Dank einer Schenkung aus Privatbesitz an das Museum den ersten Bildnachweis der jüngeren Vergangenheit lieferte und in Bezug zu Jeddings Text von 1976 setzte. Hierüber hinaus wurde das Werk auch schon am 14.03.1931 im Zuge einer ganzseitigen Besprechung zum Künstler im Hamburger Anzeiger abgebildet, hier als „Porträt-Büste“ betitelt. Weitere Angaben fehlen aber auch hier.


Heute sind uns insgesamt 3 Exemplare dieser Figur bekannt, zwei davon in Privatbesitz. Angesichts der Tatsache, dass Opfermann seine Skulpturen kaum in Serie produzieren lies und es nur vereinzelt bspw. von Keramiken eine Version in Steinguss gibt, erstaunt diese - immer noch geringe - Anzahl ein und derselben Figur. Die Fertigung als eine Art Jahres- bzw. Vereinsgabe käme also durchaus in Betracht und tatsächlich warb der 1920 von Rosa Schapire und Wilhelm Niemeyer gegründete Kunstbund Hamburg, für dessen Stifter Karl Opfermann bereits eine Plakette entwerfen sollte, in einer Mitteilung 1920 für ihre Kunstbundaufträge:


„In der Werkstatt der Kunstgewerbeschule für Thonbildnerei können Entwürfe junger Künstler für Porzellan oder Steingut in einer Anzahl bis zu 20 Stück für Mitglieder des Kunstbundes auf Bestellung gefertigt werden. Diese Entwürfe würden von Fall zu Fall auf den Kunstbundabenden zur Besichtigung und Wahl ausgestellt sein.“


Hier dürfte der Ursprung nicht nur der Porzellan-Figur Opfermanns sondern auch der vieler weiterer Porzellanschöpfungen Hamburger Bildhauer liegen. Es darf wohl auch als eine äußerst gelungene Verschränkung unterschiedlicher Protagonisten angesehen werden, wenn eine Bildungseinrichtung wie die Kunstgewerbeschule nicht allein lehrende Funktion besitzt, sondern die Werkstätten auch für externe Bildhauer wie bspw. Haizmann zur Verfügung stellt und noch dazu durch die Vermittlung von Vereinen wie dem Kunstbund Hamburg den Weg in den Kunstmarkt ebnet.


Bisher unklar ist, ob auch Opfermanns Fayencen wie die bisher nur in der Literatur nachweisbaren „Stehende“ (Foto links) und „Lautenspielerin“ in besagter Werkstatt am Lerchenfeld oder vielleicht wie die Kleinskulpturen von bspw. Alphons Ely in der Mutz-Werkstadt in Altona entstanden sind.


Wir bedanken uns ausdrücklich bei den Hamburger Sammlern, die unserem Projekt Bild- und Vergleichsmaterial zur Verfügung gestellt haben und bei Dr. Christian Schulz (Richard-Haizmann-Museum Niebüll), Klaus Stemmler (Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg) sowie Dr. Rüdiger Joppien für die Bestätigenden Auskünfte.


(1) Jedding, Hermann: Porzellanschöpfungen von Hamburger Bildhauern, in: Hamburgerger Kunsthalle/Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, Bd. 21, Hamburg 1976, S. 179 - 198.

(2) Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg: Jahrbuch des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg, Neue Folge, Bd. 11/12, 1992/-1993, S. 217.

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A brief history of porcelain


A few months ago, an attentive collector in Hamburg presented us with a porcelain figurine by Opfermann, which at the time posed a few puzzles. There are many works in fired clay, mostly unglazed, in this sculptor's oeuvre, but a much more elaborate work in porcelain was previously unknown. Unlike porcelain from larger manufactories such as Rosenthal or the Schwarzburger Werkstätten, Opfermann's figurine lacks any indication of a manufacturer, such as a mark or serial number. However, the signature and style clearly identify the figurine as a work by our sculptor, and so the search for its genesis began.


We see a female half-length figure wrapping her body in a thin cloak that seamlessly encloses her head as a hood. The left breast is still exposed, facing the same direction as the sitter's slightly lascivious gaze. The cheeky, straight-cut forehead fringes and side curls still protrude from under the hood due to the slightly lowered gaze, the figure smiles defiantly. These details dissolve what at first glance appears to be a Marian impression of the motif, most likely creating the image of an eroticised ‚Maria lactans‘: a humorous dissolution of the familiar, as we are often familiar with from Opfermann, which skilfully incorporates the materiality of the milky porcelain.


Although the processing and production of porcelain was more complex than that of other ceramics, we know of better-known sculptors from Hamburg who have produced works in this material. The six figures that Ernst Barlach had produced in the Schwarzburger Werkstätten für Porzellankunst in Unterweißbach (Thuringia) are probably the most prominent examples. However, we are also familiar with porcelain figurines by other artists, such as Hans Martin Ruwoldt and Richard Haizmann. The latter was the first point of reference for a comparison and apparently the shards and traces of production on the underside appeared to be identical to those of Opfermann's sculpture. It was therefore considered likely that there was a porcelain production workshop in Hamburg, even if it was not a large manufactory.


In 1976, Hermann Jedding published his text Porzellanschöpfungen von Hamburger Bildhauern (Porcelain creations by Hamburg sculptors), which is fundamental to the history of porcelain in Hamburg, in the Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen (1), in which he refers to the influence of the sculptors Richard Luksch and Johann Michael Bossard at the Kunstgewerbeschule Hamburg (now the Hochschule für bildende Künste, HFBK for short). The creations of these two very different sculptors, particularly in porcelain and fayence under the workshop director Max Wünsche, evidently aroused the interest of many students, including Karl Opfermann, in these materials. In line with our hopes, the text states that, according to Gustav Grimm, there was a ‘porcelain Madonna’ by Opfermann. However, the text did not yet provide any proof of this. Through further research, we became aware of volume 11/12 of the Jahrbuch des Museums für Kunst und Gewerbe (2), which in 1993, thanks to a donation from a private collection to the museum, provided the first pictorial evidence of the recent past and placed it in relation to Jedding's text of 1976. In addition, the work was also illustrated as early as 1931 in the course of a full-page review of the artist in the Hamburger Anzeiger, here titled ‘Portrait Bust’. However, further details are also missing here.


Today we know of a total of three examples of this figure, two of which are privately owned. In view of the fact that Opfermann hardly ever had his sculptures produced in series and that there are only a few versions of ceramics in cast stone, for example, this - still small - number of the same figure is astonishing. Production as a kind of annual or association gift could therefore certainly be considered, and indeed the Kunstbund Hamburg, founded in 1920 by Rosa Schapire and Wilhelm Niemeyer, for whose founders Karl Opfermann was already determined to design a plaque, advertised its Kunstbund commissions in a 1920 communication:


‘In the workshop of the Kunstgewerbeschule für Thonbildnerei, designs by young artists for porcelain or earthenware can be made to order in quantities of up to 20 pieces for members of the Kunstbund. These designs would be exhibited on a case-by-case basis at the Kunstbund evenings for viewing and voting.’


This is probably the origin not only of Opfermann's porcelain figure but also of many other porcelain creations by Hamburg sculptors. It can also be seen as an extremely successful combination of different protagonists when an educational institution such as the Kunstgewerbeschule not only has a teaching function, but also makes its workshops available to external sculptors such as Haizmann and also paves the way into the art market through the mediation of associations such as the Kunstbund Hamburg.


It is still unclear whether Opfermann's fayences, such as the ‘Standing’ (photo) and ‘Lute Player’, which have so far only been documented in the literature, were also created in the aforementioned workshop or perhaps, like the small sculptures by Alphons Ely, for example, in the Mutz workshop in Altona.


We would like to thank the Hamburg collectors who provided our research with images and comparative material and Dr Christian Schulz (Richard-Haizmann-Museum Niebüll), Klaus Stemmler (Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg) and Dr Rüdiger Joppien for their confirmatory information.

31 Ansichten

Nur wenigen, bibliophilen Interessierten der Hamburger Kunstszene zwischen den Weltkriegen dürfte diese Skulptur bekannt sein. Karl Lorenz bildete die Junge Mutter von Karl Opfermann aus dem Jahr 1920 neben weiteren Skulpturen in seinem ersten Band der zweiten Folge Die Rote Erde (1922) ab.


Die Silhouette des Körpers wurde nur andeutungsweise aus der Stelenform des Zedernholzes gelöst, der Rest - Kopf, Füße, Hände und Brust - in kubistischer Manier reduziert. Das Kind in den Händen der Mutter sowie ihr Gesicht sind stark expressiv gestaltet und dennoch detailliert, beide blicken uns direkt an. Die weit aufgerissenen, hungrigen Augen der Jungen Mutter fixieren uns und nur ihr subtil angedeutetes Lächeln kann die Starre lösen. Der Blick schweift hinunter zum Kind, welches uns gänzlich ohne Mimik aber mit ebenso weit geöffneten Augen anblickt, während der Körper den Schutz der Mutter sucht.

Karl Opfermann schuf mit dieser Skulptur weniger eine Marien-Darstellung, wie man sie vielleicht auf den ersten Blick vermuten könnte, als vielmehr eine Allegorie der Mutter, der 'Maternité' (der Begriff 'Mutterschaft' kommt im deutschen Sprachgebrauch der Kunstgeschichte kaum vor, daher gebrauchen wir den französischen Genre-Begriff). Die 'Maternité' weist weit über ein religiös verklärtes 'Mutterglück' hinaus auf Liebe, Schmerz, Verwundbarkeit und Intimität. Hiervon wird zukünftig noch an anderer Stelle die Rede sein.


Opfermanns Junge Mutter wurde vermutlich erstmals auf der zweiten Ausstellung der Hamburgischen Sezession 1921 in den Räumen des Kunstvereins in der Hamburger Kunsthalle ausgestellt. Der Katalog listet die Skulptur neutral als Holzrelief "Mutter mit Kind" mit vier weiteren Skulpturen sowie Zeichnungen und Holzschnitten des Künstlers. Aus dieser Ausstellung heraus muss die Skulptur verkauft worden sein an die Familie, in deren Besitz sie bis heute erhalten blieb.


Die Familie Ganz war eine alt eingesessene und in Köln hoch angesehen Familie von Buchhändlern, die bis 1934 die Lengfeld'sche Buchhandlung - damals die größte in Köln - als Familienbetrieb leitete. Ein Bruder des Familienoberhauptes Alexander Ganz, Paul Ganz, lebte in Hamburg und bildete vermutlich die Brücke zur dortigen Kunstszene. Mit dem Umzug der Buchhandlung innerhalb der Stadt 1919 wurde bspw. der damals in Hamburg ansässige Maler Bernard Schumacher (1872 - 1932) mit einem Wandgemälde beauftragt. Weiterhin gab es ein Gemälde von Carlo Mense (1886 - 1965) in der Buchhandlung. Bestrebungen, den Betrieb auf das Verkaufen von Kunst auszuweiten, wurden jedoch bald verworfen. In dieser Zeit muss auch die Skulptur Opfermanns von der Familie Ganz angekauft worden sein, Lorenz gibt in seiner Veröffentlichung von 1922 bereits den Zusatz "Privatbesitz" an.

Beate Maillé, geb. Ganz und Tochter des Geschäftsführers in zweiter Generation, Karl-Justus Ganz, schildert in Ihrer Geschichte für Joanna (in: Brigitte Bilz/Fritz Bilz (Hrsg.): Die Familie Ganz und die Lengfeld’sche Buchhandlung. Lebensgeschichten einer jüdischen Buchhändlerfamilie, Köln 2020) anschaulich, wie sich das Leben ihrer jüdischen Familie 1933 - aus ihrer damals jugendlichen Sicht schlagartig - veränderte. Schon im Jahr der Machtergreifung der Nationalsozialisten entschied sich Karl-Justus Ganz zu dem mutigen Schritt, das Land mit seiner gesamten Familie zu verlassen. Das Geschäft konnte einem als 'arisch' geltenden Teilinhaber einvernehmlich überschrieben werden und so war es der Familie möglich, in Fontenay-aux-Roses bei Paris ein Haus zu kaufen und mit sämtlichen Besitztümern relativ geordnet im Sommer 1934 aus Deutschland zu fliehen. Die Familie hatte in den kommenden fünf Jahren vor Kriegsbeginn Zeit, sich einzuleben und Kontakte zu knüpfen. Als die deutschen Soldaten aber Richtung Paris vorrückten, wurden einige Familienmitglieder, darunter auch Beate, als womögliche Spione in unterschiedlichen Internierungslagern im Süden des Landes inhaftiert und erst nach einem Waffenstillstand fand sich die Familie im Juli 1940 in Auriac-sur-Dropt wieder auf freiem Fuß zusammen. Sie lebten bescheiden aber in Freiheit und so konnte Beate 1942 in Toulouse einen Kurs zu künstlerischer Gestaltung besuchen.  Eine Ton-Maske aus ihrer Hand, heute im Besitz des Herausgebers Dr. Fritz Bilz, zeigt verblüffende Ähnlichkeit zu Opfermanns Jungen Mutter.


1943 hatte Deutschland eine 'Marionettenregierung' in Paris installiert, durch dessen Handlanger reihenweise Juden denunziert, deportiert und ermordet wurden. Auch Beate und eine Freundin wurden verschleppt und sollten deportiert werden. Nur weil Karl-Justus Ganz den Beweis erbringen konnte, dass das Einbürgerungsverfahren schon vor Kriegsbeginn angestoßen wurde, konnte sie wieder befreit werden. Hiernach tauchte die Familie unter und floh nach Spanien, wo sie sich als Kanadier und Engländer ausgaben, um unter dem Schutz der jeweiligen Länder weiter bis nach Marokko zu fliehen, wo sie bis Kriegsende blieben. Hier lernte Beate Jean Maillé kennen, den sie 1944 noch im Exil heiratete und dem Sie 1945 zurück nach Paris folgte. In tiefer Dankbarkeit konnte die Familie einige ihrer Habseligkeiten, darunter auch die Skulptur Opfermanns, von wohlgesinnten Nachbarn in Fontenay zurückerhalten und in Saint-Cloud westlich von Paris wagte sie einen Neubeginn. Später ging eine Tochter Beates, Claire, nach Montreal (Kanada) und nahm ihre Mutter nach dem Tod des Vaters mit den geretteten Besitztümern der Familie Ganz zu sich. So Gelangte Karl Opfermanns Junge Mutter schließlich nach Montreal, wo sie bis zuletzt bei Joanna H., Beates Enkeltochter, der ihr oben wiedergegebener Bericht gewidmet ist, gehütet und geliebt wurde.


Dank der unglaublichen Großzügigkeit Joannas und ihrer Familie konnte die Skulptur nun zurück nach Deutschland überführt werden und steht damit nicht zuletzt diesem Forschungsprojekt zur Verfügung. Diese Skulptur stellt nicht nur ein frühes Hauptwerk Karl Opfermanns dar, welches dem Bildersturm der Nazis gegen die sogenannte „entartete Kunst“ entfliehen konnte, sie erzählt auch eine von unzähligen, erschütternden Familiengeschichten der Jahre ab 1933 und birgt dennoch den Funken der Hoffnung: wie die Familie Ganz konnte die Skulptur der Vernichtung entkommen.





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This sculpture is probably only known to a few bibliophiles interested in the Hamburg art scene between the world wars. Karl Lorenz depicted Karl Opfermann's Young Mother from 1920 alongside other sculptures in his first volume of the second series Die Rote Erde (1922).

The silhouette of the body was only vaguely detached from the stele shape of the cedar wood, the rest - head, feet, hands and chest - reduced in a cubist manner. The child in the mother's hands and her face are strongly expressive yet detailed, both looking directly at us. The wide-open, hungry eyes of the Young Mother fixate us and only her subtly implied smile can break the stare. The gaze wanders down to the child, who looks at us without any facial expression but with equally wide-open eyes, while the body seeks the mother's protection.

With this sculpture, Karl Opfermann created less a depiction of the holy Mary, as one might expect at first glance, and more an allegory of the mother, the Maternité. Maternité points far beyond a religiously glorified "mother's happiness" towards love, pain, vulnerability and intimacy. This will be discussed elsewhere in the future.


Opfermann's Young Mother was probably first exhibited at the second exhibition of the Hamburg Secession in 1921 in the rooms of the Kunstverein in the Hamburger Kunsthalle. The catalog lists the sculpture neutrally as a wooden relief "Mother with Child" with four other sculptures as well as drawings and woodcuts by the artist. The sculpture must have been sold out of this exhibition to the family in whose possession it remained until today.


The Ganz family was a long-established and highly respected family of booksellers in Cologne, who ran the Lengfeld'sche Buchhandlung - the largest bookshop in Cologne at that time - as a family business until 1934. A brother of the head of the family Alexander Ganz, Paul Ganz, lived in Hamburg and presumably formed the bridge to the art scene there. When the bookshop moved within the city in 1919, for example, the painter Bernard Schumacher (1872 - 1932), who was based in Hamburg at the time, was commissioned to paint a mural. There was also a painting by Carlo Mense (1886 - 1965) in the bookshop. However, efforts to expand the business to include selling art were soon abandoned. The sculpture by Opfermann must also have been purchased by the Ganz family at this time, as Lorenz already states "private property" in his 1922 publication.


Beate Maillé, née Ganz and daughter of second-generation managing director Karl-Justus Ganz, vividly describes in her Story for Joanna (in: Brigitte Bilz/Fritz Bilz (Hrsg.): Die Familie Ganz und die Lengfeld’sche Buchhandlung. Lebensgeschichten einer jüdischen Buchhändlerfamilie, Köln 2020) how the life of her Jewish family changed abruptly in 1933 - from her then youthful perspective. In the very year the Nazis seized power, Karl-Justus Ganz decided to take the courageous step of leaving the country with his entire family. The business was transferred by mutual agreement to a partial owner who was considered "Aryan", enabling the family to buy a house in Fontenay-aux-Roses near Paris and flee Germany with all their possessions in the summer of 1934. The family had time to settle in and make contacts over the next five years before the war began. However, as the German soldiers advanced towards Paris, some family members, including Beate, were imprisoned as possible spies in various internment camps in the south of the country and it was only after an armistice that the family was reunited at liberty in Auriac-sur-Dropt in July 1940. They lived modestly but in freedom and so Beate was able to attend a course in artistic design in Toulouse in 1942.  A clay mask from her hand, now in the possession of the publisher Dr. Fritz Bilz, bears a striking resemblance to Opfermann's Young Mother.

In 1943, Germany had installed a "puppet government" in Paris, whose henchmen denounced, deported and murdered hundreds, if not thousands of Jews. Beate and a friend were also abducted and were to be deported. It was only because Karl-Justus Ganz was able to prove that the naturalization process had been initiated before the start of the war that they were freed. The family then went into hiding and fled to Spain, where they posed as Canadians and Englishmen in order to flee to Morocco under the protection of the respective countries, where they remained until the end of the war. It was here that Beate met Jean Maillé, whom she married in exile in 1944 and whom she followed back to Paris in 1945. In deep gratitude, the family was able to get back some of their belongings, including Opfermann's sculpture, from well-meaning neighbors in Fontenay and they ventured a new start in Saint-Cloud, west of Paris. Later, one of Beate's daughters, Claire, went to Montreal (Canada) and took her mother to live with her after her father's death, together with the Ganz family's rescued possessions. This is how Karl Opfermann's Young Mother finally ended up in Montreal, where she was cared for and loved by Joanna H., Beate's granddaughter, until today.


Thanks to the incredible generosity of Joanna and her family, the sculpture has now returned to Germany and is therefore available for research and our project as well. This sculpture not only represents an early major work by Karl Opfermann, which was able to escape the Nazi iconoclasm against so-called "degenerate art", it also tells one of the countless harrowing family stories of the years after 1933 and yet holds a spark of hope: like the Ganz family, the sculpture was able to escape destruction.

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Die Ausstellung Zerrissene Moderne. Die Basler Ankäufe „entarteter“ Kunst (22.10.22 – 19.02.23) im Kunstmuseum Basel nahm zusätzlich zu den eigentlich im Mittelpunkt stehenden Werken, nämlich den Ankäufen aus den Konvoluten „entarteter“ Kunst, welche Nazi-Deutschland für „verwertbar“ hielt, auch solche Kunstwerke in die Ausstellung auf, die das breite Spektrum der deutschen Kunstszene der damaligen Zeit weiter auffächern sollten. Darunter befand sich ein Relief Karl Opfermanns, welches als Alter Jude bezeichnet eine gewisse Grauzone als eine künstlerische Position zwischen „entarteter“ und Nazi-Kunst darstellen sollte. Bisher wurde angenommen, dass Opfermann Mitglied der NSDAP gewesen sei und tatsächlich schuf der Künstler 1935 neben einer Porträt-Büste Hitlers für das Hanseatische Oberlandesgericht (ein Zweiter Guss ging an die Firma seines Onkels in Bergisch Gladbach) auch eine Medaille als Preis des Senats der freien und Hansestadt Hamburg mit markantem Hakenkreuz auf der Rückseite. Dazu kommt verschiedentlich Schmuck für Kasernen, wovon heute noch der Adler für die Bismarck-Kaserne in Wentorf an prominenter Stelle direkt an einer vielbefahrenen Straßenkreuzung steht. Opfermann erhielt also nach 1933 öffentliche Aufträge, welche er im Sinne seiner Auftraggeber ausführte. Im Gegensatz hierzu wurden 1937 einige seiner expressiveren Werke als „entartet“ aus deutschen Museen entfernt. Der Stilwechsel, welcher sich im Werk des Künstlers bereits um 1925 ablesen lässt, weg vom Expressionismus und hin zu einer sachlicheren und naturalistischeren Darstellungsweise, war bereits vollzogen. So konnte der Künstler wie auch die anderen Hamburger Bildhauer Hans-Martin Ruwoldt, Ludwig Kunstmann und Richard Kuöhl als Mitglieder der Reichskammer für bildende Künste weiter am Kunstgeschehen in Hamburg mitwirken und öffentliche Aufträge erhalten.


Schon vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten herrschte zwischen den Bildhauern ein gewisser Konkurrenzkampf und insbesondere Ruwoldt soll sich des Öfteren abfällig über Opfermann geäußert haben. Sein Stilwechsel wurde ihm zunächst als sprunghaft, nach 1945 dann als Anbiederung an das System ausgelegt. Die Missgunst soll so weit gegangen sein, dass man ihm bei der Neugründung der Hamburgischen Sezession aufgrund einer angeblichen Mitgliedschaft bei der NSDAP den Beitritt verweigert haben soll.

 

Dr. Maike Bruhns, die grundlegende Forschung zu den meisten Hamburger Künstler*Innen jener Zeit betrieben hat, schreibt in ihrem 2001 erschienenen Lexikon Kunst in der Krise: „Wegen seiner Parteimitgliedschaft in der NSDAP nahm ihn die wiedergegründete Sezession 1945 nicht auf. [...] Seiner Schwester war seine NSDAP-Mitgliedschaft nicht bekannt.“ Auf diesen Eintrag fußen sämtliche gleichlautende Äußerungen späterer Veröffentlichungen, die Aufnahme als „Grauzone“ in die Ausstellung Zerrissene Moderne sowie der frei erfundene Titel der Skulptur Alter Jude, die dort gezeigt wurde und unter welchem die Skulptur weiter im Zentrum für verfolgte Künste / Sammlung Gerhard Schneider geführt und somit die Behauptung der NSDAP-Mitgliedschaft fortwährend ausgeschmückt und legitimiert wird. 

Interessant ist an dieser Stelle der Blick auf Bruhns’ Manuskript (heute im Warburg-Haus) zu besagtem Lexikoneintrag. Dort heißt es noch: „O. wurde nicht wieder in die Sez. Aufgenommen, weil man ihm Mitgliedschaft in der NSDAP vorwarf. Er war nie Mitglied gewesen laut Christel O.“ Christel Opfermann war die Schwester des Künstlers und von allen Familienmitgliedern wohl die engste Vertraute. Im Manuskript ist also nur von dem Vorwurf bzw. der Möglichkeit einer Mitgliedschaft die Rede. Zudem ist nur vier Jahre Später im sogenannten Neuen Rump im ebenfalls von Bruhns verfassten Lexikonbeitrag zu Karl Opfermann hiervon keine Rede mehr. Die Parteimitgliedschaft als Fakt wurde also vielmehr von äußeren Umständen wie den abfälligen Bemerkungen seiner Kollegen und seinen öffentlichen & parteikonformen Aufträgen abgeleitet. Ein konkreter bzw. begründeter Vorwurf wäre sicher nicht ohne Kenntnisnahme der Familie oder sogar der Presse verhallt. Aus der Mitgliederkartei der NSDAP, welche über das Bundesarchiv Forschenden offen steht, geht eindeutig hervor, dass Karl Opfermann nie Mitglied war.

 

Festzuhalten bleibt: Karl Opfermann war kein Mitglied der NSDAP, eine schriftliche Bestätigung des Bundesarchivs hierüber liegt vor. Und trotzdem bleibt das Werk des Künstlers aus der Zeit zwischen 1933 und 1943 (in diesem Jahr wurde sein Atelier durch Bomben zerstört und der Künstler floh nach Flensburg) ambivalent. Karl Opfermann profitierte in einer Zeit, in der andere Künstler*Innen als Nicht-Mitglieder der Reichskammer für bildende Kunst quasi Berufsverbot hatten, von dem Regime und lieferte parteikonforme Kunst für den öffentlichen Raum und staatliche Institutionen.

Es gilt an dieser Stelle nichts zu vertuschen oder schönzureden, sondern Gegebenes offenzulegen und Umstände so weit wie möglich aufzuklären. Wir hoffen, mit dieser Richtigstellung das Werk des Künstlers wieder zugänglicher zu machen und werden, wo es sinnvoll scheint, immer wieder Querverweise zu dieser Thematik einfließen lassen.

 

Weiterhin möchten wir uns an dieser Stelle ausdrücklich bei Frau Dr. Maike Bruhns für Ihre persönliche und großzügige Hilfe und beim Warburg-Haus sowie dem Bundesarchiv für die Unterstützung bedanken.

 

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Karl Opfermann and the NSDAP - a Correction

 

The exhibition Castaway Modernism. Basel’s Acquisitions of "Degenerate" Art (22.10.22 - 19.02.23) at the Kunstmuseum Basel included, in addition to the works that were actually the focus of the exhibition, namely the acquisitions from the gatherings of "degenerate" art that Nazi Germany considered "utilisable", works of art that were intended to further diversify the broad spectrum of the German art scene at the time. Among them was a relief by Karl Opfermann named Old Jew, which was intended to represent a certain grey area as an artistic position between "degenerate" and Nazi art. It was then assumed that Opfermann had been a member of the NSDAP and in fact the artist created a portrait bust of Hitler for the Hanseatic Higher Regional Court in 1935 (a second cast went to his uncle's company in Bergisch Gladbach) as well as a medal as a prize from the Senate of the Free and Hanseatic City of Hamburg with a distinctive swastika on the reverse. In addition, there were various decorations for barracks, of which the eagle for the Bismarck barracks in Wentorf still stands today in a prominent position directly at a busy crossroads. Opfermann therefore received public commissions after 1933, which he carried out in accordance with the wishes of his commissioner. In contrast, some of his more expressive works were removed from German museums in 1937 as "degenerate" art. The change in style, which can already be witnessed in the artist's work around 1925, away from Expressionism and towards a more objective and naturalistic style of representation, had already taken place. Like other Hamburg sculptors as Hans-Martin Ruwoldt, Ludwig Kunstmann and Richard Kuöhl, the artist was able to continue participating in the art scene in Hamburg as a member of the Reichskammer für bildende Künste and received public commissions.

 

Dr. Maike Bruhns, who conducted fundamental research on most Hamburg artists of that time, wrote in her encyclopaedia Kunst in der Krise published in 2001: "Because of his membership of the NSDAP, he was not accepted by the Secession, which was re-founded in 1945. [...] His sister was not aware of his NSDAP membership." All identical statements in later publications, the inclusion as a "grey zone" in the Castaway Modernism exhibition and the fictitious title of the sculpture Alter Jude, which was shown there and under which the sculpture continues to be listed in the Zentrum für verfolgte Künste / Sammlung Gerhard Schneider, thus continually embellishing and legitimizing the claim of a NSDAP membership, are based on this entry.

At this point, it is interesting to look at Bruhns' manuscript for the aforementioned entry (held at the Warburg-Haus): "O. was not readmitted to the Sez. because he was accused of being a member of the NSDAP. He had never been a member according to Christel O." Christel Opfermann was the artist's sister and probably the closest confidante of all the family members. The manuscript therefore only mentions the accusation or the possibility of membership. Moreover, only four years later, in the so-called Neue Rump (another encyclopaedia), the entry on Karl Opfermann, also written by Bruhns, no longer mentions the membership. The party membership as a fact was thus rather derived from external circumstances such as the derogatory remarks of his colleagues and his public & party-compliant assignments. A concrete or well-founded accusation would certainly not have gone unnoticed by the family or even the press. The NSDAP membership register, which is available to researchers via the Bundesarchiv (National Archives), clearly shows that Karl Opfermann was in fact never a member.

 

Karl Opfermann was not a member of the NSDAP, as confirmed in writing by the Bundesarchiv. And yet the artist's work from the period between 1933 and 1943 (the year in which his studio was destroyed by bombs and the artist fled to Flensburg) remains ambivalent. Karl Opfermann profited from the regime at a time when other artists were virtually banned from working as non-members of the Reichskammer für bildende Kunst and produced party-compliant art for public spaces and state institutions. At this point, there is no need to cover up or gloss over anything, but rather to disclose the facts and clarify the circumstances as far as possible. We hope that this correction will make the artist's work more accessible again and we will further include cross-references to this topic where appropriate.

 

We would also like to take this opportunity to thank Dr. Maike Bruhns for her personal and generous help and the Warburg-Haus as well as the Bundesarchiv for their support.



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